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Cedrik Neike (Siemens)

Intelligente Gebäude verstehen die Umgebung

Cedrik Neike: Schon seit Jahrtausenden leben und arbeiten Menschen in Gebäuden. Früher war es den Gebäuden ziemlich egal, ob sich jemand in ihnen aufhielt oder nicht – sie merkten es nicht. Mit der Digitalisierung hat sich das verändert. Heute kann das Gebäude seine Nutzer kennenlernen und ihnen Rückmeldung geben, ebenso wie den Gebäudebetreibern und den Eigentümern. Für mich ist ein Gebäude intelligent, wenn es nicht bloß passiv dasteht, sondern seine Umgebung versteht, kommuniziert, lernt und sich anpasst.

Das ist keine sehr technische Definition.

Wir bei Siemens sind überzeugt, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen muss. Bevor man sich auf eine Technologie festlegt, muss man herausfinden, was sie ihren Nutzern bringt und wie sie auf sie einwirkt. Bereits 2020 werden bis zu 50 Milliarden Geräte mit dem Internet der Dinge vernetzt sein. Ein Fünftel davon wird in Gebäuden verbaut sein. Die Datenmengen, die von all diesen Geräten generiert werden, sind schon heute gigantisch. Und sie werden weiter anwachsen. Es ist wichtig, diese Daten zu sammeln, aber damit ist es noch nicht getan. Um intelligente Gebäude zu bekommen, müssen die Daten aufbereitet und analysiert werden. Erst dadurch kann ein Gebäude flexibler, persönlicher und letztlich auch produktiver gestaltet werden.

Wo sehen Sie den Nutzen intelligenter Gebäude?

Vorteile ergeben sich bereits bei der Planungs- und Bauphase. Dank Digitalisierung können heute digitale Zwillinge von Gebäuden erstellt werden. Das sind präzise digitale Modelle, die es ermöglichen, wesentlich effizienter zu bauen. Ein Smart Building schafft aber auch für den Eigentümer Mehrwert. Zum Beispiel, indem es Rückmeldungen gibt, mit denen sich der Gebäudebetrieb optimieren lässt. Oder indem es Störungen frühzeitig meldet, um Ausfälle zu verhindern. Damit tragen intelligente Gebäude dazu bei, Betriebskosten zu senken und Produktivität zu steigern. Was ist mit den Menschen, die in intelligenten Gebäuden leben und arbeiten?

Man darf nicht vergessen, dass wir 90 Prozent unserer Zeit in Gebäuden verbringen. Deshalb erwarten wir von Gebäuden, dass sie möglichst komfortabel und sicher, zugleich aber auch möglichst ökologisch sind. Ein intelligentes Gebäude weiß, wann ich da bin und schützt mich vor Gefahren, etwa vor Feuer und Einbruch. Und es bietet mir die ideale Raumtemperatur und die optimale Luftqualität, damit ich mich wohlfühle.

Cedrik Neike (Siemens)
Cedrik Neike (Siemens) im Interview: "Für mich ist ein Gebäude intelligent, wenn es seine Umgebung versteht."
(Bild: Siemens)

Rund 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs entfallen auf Gebäude. Wie können intelligente Gebäude dazu beitragen, diesen Anteil zu verringern?

In einem durchschnittlichen Gebäude wird heute bis zu 50 Prozent der Energie verschwendet. Wir beheizen Räume, die nicht beheizt werden müssen. Wir beleuchten Räume, in denen wir kein Licht brauchen. Wir tun viele Dinge, die wir nicht tun sollten. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Laut einer aktuellen Studie ist es möglich, den ökologischen Fußabdruck eines Gebäudes um bis zu 80 Prozent zu verringern, wenn man es digitalisiert und vernetzt. Damit ist das Potenzial intelligenter Gebäude aber noch längst nicht ausgeschöpft. In der neuen Welt werden Gebäude nicht nur Energie verbrauchen, sondern auch Energie erzeugen und sich als intelligente "Prosumenten" mit der Außenwelt austauschen.

Als Prosumenten bekommen Gebäude im Stromnetz eine neue Rolle. Wo sehen Sie das Potenzial?

Mit der Digitalisierung werden nicht nur die Gebäude, sondern auch die Stromnetze intelligent. Lassen Sie mich dazu ein Konzept erläutern, das wir derzeit in Kanada erproben, und für das wir von der kanadischen Regierung Forschungszuschüsse erhalten haben. Wir sind daran, Gebäude mit dem "Smart Grid" (smartes Stromnetz) zu verbinden, und Siemens AG Hintergrundinformation zwar in Provinzen, in denen Elektroheizungen weit verbreitet sind. Eines unserer Ziele ist es, Energieüberschüsse im Netz in Form von Wärme zu speichern, in den Boilern der Häuser. Wir nutzen die Gebäude sozusagen als Batterien. Aktuell testen wir ein System, mit dem wir Lastspitzen glätten und Energie für Zeiten speichern können, in denen weniger Strom erzeugt wird. In Kanada wollen wir die Gebäude zu einem virtuellen Kraftwerk zusammenschließen. Wenn wir erfolgreich sind, könnte man dafür auf den Bau von ein bis zwei Kohlekraftwerken verzichten. Ein Gedanke, den ich ziemlich überzeugend finde.

Wenn Gebäude Energie produzieren, eröffnet dies Besitzern und Betreibern neue Möglichkeiten. Wie lukrativ ist es, überschüssigen Strom auf dem Markt zu verkaufen?

Der Vorteil von erneuerbaren Energien ist, dass man Überschüsse ins Netz zurück speisen kann – und damit zum Wohl der Gemeinschaft beiträgt. Denn auf diese Weise wird das Gebäude zu einem produktiven Element des Energie-Ökosystems. Gemeinsam mit LO3, einem Start-up aus Brooklyn, New York, haben wir mit Hilfe von Blockchain-Technologie ein Inselnetz, ein sogenanntes Microgrid, realisiert.

Innerhalb dieses Ökosystems kann ein Gebäudeeigentümer seine überschüssigen Solarkapazitäten an seine Nachbarn verkaufen. Diese wiederum können mit dem sauberen Strom beispielsweise ihre Klimaanlagen betreiben, ohne Energie aus einem weit entfernten Kraftwerk zu beziehen. So entsteht eine Gemeinschaft von Stromhändlern. Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihre zusätzlichen Kapazitäten an das Café nebenan verkaufen und bekämen dafür kostenlos Kaffee. Dieses Projekt in Brooklyn hat einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In Australien ist bereits ein ähnliches Vorhaben geplant.

Wie passen diese Prosumenten in das Konzept einer Smart City, einer intelligenten Stadt?

Was hat das Internet aus unseren Computern gemacht? Es hat sie alle miteinander verbunden. Dadurch sind sie intelligenter geworden. Derselbe Prozess wird sich auch mit intelligenten Gebäuden vollziehen. Verbunden mit dem städtischen Strom-, Gas-, Wasser- und Wärmenetz werden sie Teil eines intelligenten Ökosystems, in dem alle Teilnehmer wissen, wie man miteinander interagiert. Deshalb ist der Vergleich mit dem Internet sehr passend. Natürlich wird niemand auf die Idee kommen, eine Smart City von Grund auf neu zu bauen, doch dank intelligenteren Gebäuden wird auch eine Stadt smarter werden.

Wir stehen erst am Anfang der digitalen Transformation. Was können die Gebäude der Zukunft leisten?

Sicher ist: Die Interaktion zwischen Gebäuden und ihren Nutzern ist ein Trend, der an Bedeutung gewinnen wird. Unser Ziel ist es, dass sie sich dereinst unbewusst vollzieht. Das heißt, dass das Gebäude intuitiv auf Nutzer reagiert, die ihren täglichen Aktivitäten nachgehen, ohne dass eine direkte Schnittstelle zum digitalen Gebäude besteht. Eines Tages werden Gebäude hoffentlich intelligent genug sein, um die Bedürfnisse der Nutzer vorauszusehen. Und damit Bestandteil von Lebensräumen zu sein, die Mensch und Umwelt zu Gute kommen.

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